16.03.2020 | Dr. Bettina E. Breitenbücher, Anette Neußer

SPEZIAL: Corona-Krise: Virus infiziert Wirtschaft

optional, Recht & Steuern

Corona-Krise: Virus infiziert Wirtschaft

Die aktuellen Beschränkungen zur Reduzierung des öffentlichen Lebens führen direkt in eine neue Wirtschaftskrise. Die Regierungen auf Bundes- und Landesebene, wie auch die Kommunen selbst sind als Feuerwehr im Einsatz und arbeiten an umfassenden Maßnahmenpaketen, um eine Insolvenzwelle zu verhindern. Dies weckt Erinnerungen an unsere Hochwasserkatastrophen der Vergangenheit oder an die Finanzkrise. Spätestens jedoch, wenn die staatlichen Stützungsmaßnahmen auslaufen, wird der Markt für M&A-Transaktionen und für Investoren, die Loan-to-own-Strategien verfolgen, Fahrt aufnehmen.

 

Geschäft bricht weg

Schwarzer Humor wäre es, von Chancen zumindest für die distressed M&A Praxis zu sprechen. Zu viele Unternehmen und Existenzen stehen aktuell auf dem Spiel und das Ende der Talfahrt ist noch nicht abzusehen. Ganzen Branchen fehlen ihre Kunden. Der Tourismus ist zum Erliegen gekommen, Messen sind abgesagt, kleinere Veranstaltungen zwischenzeitlich ebenso. Im produzierenden Gewerbe und im Handel kommt es zu Lieferengpässen. Die Nachfrage in manchen Branchen ist zwar noch da und vor  allem in wichtigen Branchen wie der Pharmazie, der Technik oder der allgemeinen Lebenshaltung durch die Gesundheitskrise sogar gestiegen. Die Unternehmen können die Nachfrage jedoch nicht mehr bedienen, da die notwendigen Zulieferungen und Produkte aus dem Ausland, zuvorderst aus China und Asien als Billiglohnländer, ausbleiben. Auch wenn das Geschäft hiervon noch nicht beeinträchtigt ist, fehlen Firmen und Arbeitgebern immer häufiger ihre Arbeitnehmer aufgrund von Quarantäneanordnungen oder familiären Betreuungsengpässen. Hier werden wir in den nächsten Tagen sehen, wie sich die flächendeckenden Schul- und KiTa-schließungen auswirken. Schließlich sind in vielen Familien beide Partner berufstätig. Der Aufruf, vermehrt zu Hause zu bleiben, dürfte von weiten Teilen der Bevölkerung beachtet werden und der allgemeine Konsum bricht bereits jetzt spürbar ein. Einzelhändler und Gastronomen müssen feststellen, dass teils überhaupt keine Kunden mehr kommen.

Fällt der Umsatz von heute auf morgen weg, aus welchem Grund auch immer, wird die Liquidität schnell zum ernsthaften Problem. Und sicherlich betrifft dies aktuell nicht mehr nur Unternehmen, die bereits vor Corona gekränkelt haben und damit nun natürlich besonders gefährdet sind. Gerade kleine und mittlere Unternehmen sowie Freiberufler haben schon aufgrund ihres Geschäftsvolumens kaum ein derart dickes Polster an Liquidität, dass längerfristige Ausfälle ohne weiteres aufgefangen werden könnten. Auch große Unternehmen können schnell an ihre Grenzen kommen, je nachdem, wie ihre Kapitalstrukturvor dem Hintergrund der vergangenen guten Jahre ausgerichtet ist. Entscheidungen über die Frage, wieviel Kapital im Unternehmen verbleiben darf und wieviel ausgeschüttet oder geleveraged wird, damit das Unternehmen für Investoren interessant genug ist, werden nun ihre Konsequenzen zeigen.

 

Liquiditätshilfen

Die Liquidität haben auch die Maßnahmenpakete des Bundes, der Länder sowie der Kommunen gegen die Corona-Krise im Fokus.[1. https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/regierung-beschliesst-massnahmenpaket-gegen-corona-krise]Der leichtere Zugang zum Kurzarbeitergeld hat das Gesetzgebungsverfahren in einem beeindruckenden Schnelldurchlauf passiert.[2. Entwurf eines Gesetzes zur krisenbedingten Verbesserung beim Kurzarbeitergeld] Hier konnte der Gesetzgeber auf die Erfahrungen mit der Finanzmarktkrise 2008 / 2009 mit diesem arbeitsmarktpolitischen Instrument zurückgreifen. Durch die Herabsetzung der Zugangsvoraussetzungen in Bezug auf das Quorum der betroffenen Beschäftigten im Betrieb, die Ausdehnung auf Leiharbeitnehmer sowie die Erstattung auch der Sozialversicherungsbeiträge durch die Bundesagentur für Arbeit werden die Arbeitgeber spürbar entlastet.

Weiter sollen steuerpolitische Maßnahmen die Liquiditätslage des einzelnen Unternehmens entzerren. Der Fiskus als Gläubiger wird steuerlichen Erleichterungen, die die Zahlungslasten zeitlich hinausschieben. Die Finanzbehörden sind angewiesen, Steuern zu stunden, wenn die Einziehung eine erhebliche Härte darstellen würde, wobei keine strengen Anforderungen gemeint sind. Steuervorauszahlungen sollen unkompliziert und schnell herabgesetzt werden, wenn feststeht, dass die Einkünfte im laufenden Jahr voraussichtlich geringer sein werden. Bei fälligen Steuerzahlungen werde von Vollstreckungsmaßnahmen und Säumniszuschlägen als Druckmittel abgesehen, solange Unternehmen bzw. Steuerpflichtige unmittelbar von den Auswirkungen des Corona-Virus betroffen sind.

Das Exportgeschäft will der Bund durch Exportkreditgarantien absichern, sogenannte Hermesdeckungen, die sich auch in den Jahren nach der Finanzkrise bewährt haben.

Vor allem aber geht es um Liquiditätshilfen durch KfW-Kreditprogramme. Ein „Milliarden-Schutzschild“, dessen Volumen nicht begrenzt wurde, soll Unternehmen aller Größen und Branchen finanziell für die Bewältigung der Krise wappnen.[3. https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Oeffentliche_Finanzen/2020-03-13-Schutzschild-Beschaeftigte-Unternehmen.html] Sonderprogrammen werden für Krisenunternehmen mit vorübergehend ernsthaften Finanzierungsschwierigkeiten aufgelegt. Um die Liquiditätsbereitstellung zu beschleunigen, wird zudem der Zugang zu Bürgschaften, einschließlich paralleler Bund-Länder-Bürgschaften erleichtert. Wenn notwendig könne der im Bundeshaushalt zur Verfügung stehende Garantierahmen von rund 460 Milliarden Euro auf bis zu 93 Milliarden Euro erhöht werden.[4. https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Oeffentliche_Finanzen/2020-03-13-Schutzschild-Beschaeftigte-Unternehmen.html]

 

Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Auch wenn mit Hochdruck Notfallpakete geschnürt werden und Unternehmen direkte Finanzhilfen beantragen können, verbleibt dennoch eine Insolvenzgefahr. Dies alleine schon deshalb, weil Kapitalgesellschaften wie auch atypische Personengesellschaften bzw. deren Geschäftsleiter in der äußerst kurzen Frist von maximal drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen haben. Lange ist das „Unwort“ Insolvenz in offiziellen Stellungnahmen zur Krise nicht gefallen, obgleich gerade auch die Politik seit Jahren daran arbeitet, diesem Begriff sein Stigma zu nehmen. Vorstände und Geschäftsführer dürfen die Augen vor diesem Damoklesschwert infolge des Corona-Virus jedenfalls nicht verschließen. Die Antragsfrist ist nicht nur sehr kurz bemessen, sie wird vor allem auch von einer persönlichen Haftung und Strafbarkeit flankiert. Dies darf in der aktuellen Situation nicht dazu führen, dass kurzfristig Insolvenzanträge gestellt werden müssen, obgleich ein Schuldner mit Hilfe der aufgezeigten Kreditprogramme die Krise überstehen könnte. Hier muss den Schuldnern und den Darlehensgebern ausreichend Zeit für deren Nutzung eingeräumt werden. Bei aller Eile werden die Kreditinstitute und insbesondere die Hausbanken kurzfristig eine Flut an Anträgen mit eher verringertem Personal zu bearbeiten haben.

Im Rahmen der Finanzkrise wurde der insolvenzrechtliche Überschuldungsbegriff quasi über Nacht angepasst und für Unternehmen mit plötzlich entwerteten Aktiva aber laufendem Geschäft entschärft. Die Finanzkrise unterschied sich von der aktuellen Krise im Wesentlichen dadurch, dass durch die Entwertung von Anlagen die Vermögensbilanzen aus den Fugen gerieten. Nach dem vor diesem Hintergrund geänderten insolvenzrechtlichen Überschuldungsbegriff löst eine rechnerische Überschuldung solange keine Antragspflicht mehr aus, als dem Unternehmen eine positive Fortbestehensprognose für das laufende und das folgende Geschäftsjahr bescheinigt werden kann. Nachdem die Änderung des zuvor strengeren insolvenzrechtlichen Überschuldungsbegriffs mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz zunächst nur befristet bis Ende 2010 eingeführt worden war, entschied sich der Gesetzgeber nachfolgend zuerst für eine Verlängerung bis Ende 2013 und im Jahr 2012 dann für eine gänzliche Entfristung des entschärften Überschuldungsbegriffs. Problem bleibt aber nach wie vor die Zahlungsfähigkeit, auf die dieser Eröffnungstatbestand im Ergebnis heruntergebrochen wurde. In der aktuellen Krise geht es aber gerade um die Frage der Durchfinanzierung und die Vermeidung der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit, so dass diese Anpassung im Rahmen der Finanzkrise im Augenblick bei der Vermeidung der Insolvenzantragspflicht keine ausreichende Hilfe ist.

Eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist auch nichts Neues. So hat die Bundesregierung zum Beispiel für Unternehmen, die in den Jahren 2002, 2013 und 2016 von der Hochwasserkatastrophe betroffen waren und durch die Folgen der Flut in eine wirtschaftliche Schieflage geraten sind, die Antragspflicht zeitlich befristet (zunächst auf sechs Monate mit Verlängerungsoption) ausgesetzt und damit einen wichtigen Beitrag zur Krisenbewältigung in den von der Naturkatastrophe betroffenen Gebieten geleistet. Den gebeutelten Unternehmen sollte damit Zeit gegeben werden für Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen, um die finanzielle Schieflage zu beseitigen.

Letztlich ging es damals und geht es ebenso in der aktuellen Krise darum, die notwendige Zeit zu gewinnen, um die aufgelegten Hilfen zur Überbrückung dieses Ausnahmezustandes überhaupt noch insolvenzrechtlich rechtzeitig ins Unternehmen zu bringen. Ließ sich die Insolvenzlage innerhalb der zusätzlich eingeräumten Frist nicht durch Versicherungs- oder Entschädigungsleistungen, Sanierungs- oder Finanzierungsvereinbarungen beseitigen, war innerhalb der dann neu anlaufenden Höchstfrist von drei Wochen ein Insolvenzantrag zu stellen.

Auch in der aktuellen Krise ist eine befristete Aussetzung der Insolvenzantragspflicht notwendig. Eine entsprechende gesetzliche Regelung wird richtigerweise nun im Anschluss an das Schnüren der Corona-Hilfspakete und zur Sicherstellung der Wirksamkeit derselben vorbereitet.[5. https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/insolvenzantragspflicht-fuer-durch-corona-epidemie-insolvente-unternehmen-soll-ausgesetzt-werden] Geplant ist aktuell eine temporäre Aussetzung bis zum 30. September 2020, verlängerbar bis höchstens zum 31. März 2021. Voraussetzung für die Aussetzung soll sein, dass der Insolvenzgrund auf den Auswirkungen der Corona-Epidemie beruht und dass aufgrund einer Beantragung öffentlicher Hilfen oder ernsthafter Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen eines Antragspflichtigen begründete Aussichten auf Sanierung bestehen.

Die im Rahmen der Evaluierung des im Jahre 2012 in Kraft getretenen Gesetzes zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen in der Insolvenz kürzlich herausgearbeiteten Kriterien für eine „Eigenverwaltungswürdigkeit“ könnten zudem herangezogen werden, um einen Missbrauch coronabedingter Erleichterungen und Hilfen zu Lasten von Gläubigern zu verhindern.[6. https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/, Seite 71]

 

Persönliche Einstandspflicht

Im sicheren Hafen wären die Geschäftsleiter mit der Aussetzung der Antragspflicht allerdings nicht automatisch. Auch wenn eine Insolvenzverschleppung nicht in Betracht kommt, bleiben doch die weiteren insolvenzrechtliche Vorschriften in Kraft. Mit einer temporären Aussetzung der Antragspflicht werden nicht alle insolvenzrechtlichen Regelungen ausgesetzt. Gläubiger könnten einen Fremdantrag stellen, so dass Kommunikation als Bestandteil des Krisenmanagements unabdingbar wäre. Vor allem aber bleibt es beim Verbot von Zahlungen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung (§ 64 Satz 1 GmbHG, § 92 Absatz 2 AktG, § 130a HGB). Die Erstattungspflicht trifft bei Verstößen die Geschäftsleiter. In der Insolvenz vom Insolvenzverwalter eingefordert, können hier immense Beträge zusammenkommen, geht es doch nicht um den Ersatz eines Schadens, sondern um das Einfordern abgeflossener Gelder. Natürlich sollen diese Normen Fortführungen in der Krise nicht ausschließen. Die Rechtsprechung ist allerdings in Anbetracht der Situation eines Wirtschaftens auf Kosten und auf Gefahr der Gläubiger äußerst komplex und nach wie vor am Austarieren. Ohne besondere Kenntnisse ist ein Durchmanövrieren risikoreich, beachtet man zusätzlich, dass die D&O Versicherung nach aktueller obergerichtlicher Rechtsprechung keinesfalls automatisch Deckungsschutz für diese Geschäftsführer-Einstandspflicht übernimmt.[7. OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.7.2018 – I-4 U 93/16 beim BGH anhängig unter Az. IV ZR 186/18; zur anderen Auffassung vgl. bspw. Markgraf/Henrich, NZG 2018, 1290]

 

Restrukturierungsrahmen

Auch wenn mittels günstiger neuer Kredite eine kurzfristige Zahlungsunfähigkeit abgewendet werden kann, muss das Geschäft doch früher oder später in so einem Umfang wieder anlaufen, dass auch diese Überbrückungsfinanzierungen vom Unternehmen gestemmt werden können. Je nach Dauer der Krise, wozu derzeit keinerlei verlässliche Angaben gemacht werden können, kann das schwierig werden. Jedenfalls aber muss man nach der langen Diskussion über die Notwendigkeit eines vorinsolvenzlichen Sanierungstools im deutschen Recht der EU testieren, dass es wichtig und gut war in Anbetracht der aktuellen, Grenzen überschreitenden Krise, mit der EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz die nationalen Gesetzgeber in die Spur zu schicken.[8. Richtlinie (EU) 2019/1023 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132]

Durch den neu zu schaffenden präventiven Restrukturierungsrahmen soll gerade Unternehmen mit einem operativ tragfähigen Geschäft ein Tool an die Hand gegeben werden zur Abwendung einer sonst wahrscheinlichen Insolvenz. Ein alle Gläubiger betreffendes Gesamtverfahren mit entsprechender Dauer und Auswirkungen auf alle Beteiligte ist dann nicht mehr notwendig, wenn es alleine um die Restrukturierung der Passivseite der Bilanz geht. Diese Chance eines schlanken, effektiven und rechtssicheren Entschuldungsverfahrens als Alternative zu außergerichtlichen Verhandlungslösungen und Gesamtvollstreckungsverfahren wird allerdings nur Unternehmen geboten, die bereits vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit auf ihre Gläubiger zugehen. Würde der deutsche Gesetzgeber, was zu befürworten wäre, den Zugang zum präventiven Restrukturierungsrahmen weiter an eine Bestandsfähigkeitsprüfung (viability test) knüpfen, wäre auch diese Hürde zu nehmen für Unternehmen, die durch den Corona-Virus in die Krise geraten sind. Für sie ist gerade typisch, dass es der insolvenzrechtlichen Sanierungsinstrumente und eines alle Gläubiger umfassenden Verfahrens in Bezug auf das operative Geschäft bzw. die Passivseite der Bilanz nicht bedarf. Auch wenn gute Gesetze ihre Zeit brauchen, was umgekehrt allerdings auch keine Garantie ist, ist ein engagierter Zeitrahmen für die Umsetzung der Richtlinie nun dringend angezeigt, um diese mit einer temporären Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zu harmonisieren.

 

Entschuldung

Auf gutem Weg ist hier die weiter durch die EU geforderte Entschuldungsmöglichkeit für Unternehmer, die der Gesetzgeber richtigerweise allen natürlichen Personen gewähren will. Geht es den Unternehmen schlecht, sind unweigerlich auch viele Arbeitsplätze in Gefahr. Ein Referentenentwurf eines „Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens“ auf drei Jahre wurde mit Schreiben vom 13.2.2020 den maßgeblichen Verbänden und interessierten Kreisen übersendet.[9. https://www.zvi-online.de/heft-3-2020/zvi-2020-79-reform-2020-die-weitere-verkuerzung-des-restschuldbefreiungsverfahrens/]

 

Krise als Chance

Krise als Chance, dieser Glaubenssatz sollte allerdings auch bei einer Krise des aktuellen Ausmaßes nicht aus den Augen verloren werden. Letztlich macht die Krise sichtbar, was an sich bekannt ist, insbesondere an Abhängigkeiten, die verletzlich machen. Dass auch in der noch relativ neuen und zunächst aufstrebenden Solarbranche fast nur noch in Asien Bauteile produziert werden, ist bekannt. Welche weiteren Branchen dies betrifft, wird gerade deutlich. Dass typischerweise der günstigste Anbieter das Rennen macht, unabhängig davon, wo er seinen Sitz hat, ist auch bekannt. Daneben haben weitere Anbieter bislang oft wenig Chancen. Gerade auch im Kontext von Umwelt, Klima und Nachhaltigkeit und nicht nur mit Blick auf die Arbeitsplätze könnte sich das nun ändern. Bei einer due diligence und Kaufentscheidung könnten und sollten derartige Faktoren künftig mehr im Fokus stehen, die Diversifizierung muss jedenfalls ein zentrales Kriterium sein.

 

Die Geister, die wir riefen

Dass unsere Wirtschaft sofort flankierende Maßnahmen des Gesetzgebers benötigt, um ihr Überleben und unser aller Wohlstand zu sichern, dürfte unstreitig sein. Ein Blick auf die Krisen der jüngeren Vergangenheit zeigt jedoch, dass uns die Folgen noch lange beschäftigen werden.

Seit dem Platzen der New Economy-Blase im Jahr 2000 geistern Non Performing Loans (NPLs) durch die Wirtschaft.[10. https://www.bankingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/guidance_on_npl.de.pdf] Ein Ziel der erst letztes Jahr verabschiedeten EU-Restrukturierungsrichtlinie ist es, diese zum Spekulationsobjekt gewordenen Kredite, die ein Treiber für die Finanzmarktkrise waren, wieder aus der Welt zu schaffen. Nun kommt eine weitere Krise dazu und eine Vielzahl von Unternehmen wird sich weiter verschulden. Es bleibt offen, wann diese neuen Kredite zurückgezahlt werden können oder ob hier am Ende neue notleidende Kredite geschaffen werden. Wie sich an der Änderung des Überschuldungsbegriffs anlässlich der Finanzmarktkrise zeigt, ist es jedenfalls schwer, das gesetzgeberische Rad wieder zurückzudrehen. Eine funktionierende Wirtschaft, die auf Lieferantenkredit basiert, ist jedoch darauf angewiesen, dass die Geschäftspartner der Unternehmen darauf vertrauen können, dass ihre Rechnungen bei Fälligkeit bezahlt werden. Dieses Vertrauen würde durch eine zu weitgehende Aufweichung der Insolvenzantragspflicht gefährdet werden.

 

Fazit

Spätestens wenn die Coronakrise vorbei ist, wird der Markt für Unternehmensübernahmen wieder wachsen. Zahlreiche Unternehmen werden tiefer verschuldet und auf kapitalstarke Partner angewiesen sein. Außerdem wird der Markt für NPLs anwachsen und damit auch die Spielmasse für Investoren, die die Übernahme von Unternehmen über die Passivseite beabsichtigen. Für den künftigen präventiven Restrukturierungsrahmen ist derzeit in Diskussion, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen dieser für einen Eingriff in Gesellschafterrechte als Restrukturierungsmaßnahme geöffnet werden soll.[11. Heckschen/Weitbrecht, Überfremdungsschutz im GmbH- und Aktienrecht, NZG 2019, 721; Schäfer, Einbeziehung der Gesellschafter in ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren?, ZIP 2019, 1645] Loan-to-own-Strategien können allerdings seit 2013 und im Zusammenhang mit der aktuellen Krise künftig sicherlich noch vermehrt in einem Insolvenzverfahren mit Insolvenzplanlösung verfolgt werden. Seit durch das ESUG die Möglichkeit des Eingriffs in Gesellschafterrechte auch gegen deren Willen eröffnet wurde, ist die Umwandlung von Gläubigerforderungen in Anteilsrechte ein profunder Weg zur Entschuldung und gleichzeitig Übernahme von Unternehmen. Explizit hat der Gesetzgeber den Debt-Equity-Swap im neuen § 225a Absatz 2 InsO als zulässige gesellschaftsrechtliche Insolvenzplanmaßnahme festgeschrieben und weiter mit einem Ausschluss von Differenzhaftungsansprüchen in § 254 Abs. 4 InsO für die interessierten Gläubiger praktikabel gemacht. Sind notleidende Forderungen bei der Umwandlung und Übernahme von Anteile am Zielunternehmen überbewertet worden, hat dies für die Gläubiger keine weiteren Konsequenzen.

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